Davila, Nicolas Gomez
- * 18. Mai 1913 in Bogota
- † 17. Mai 1994 ebenda
Nicolas Gomez Davila war ein kolumbianischer Philosoph. Er gehört zu den Genien des 20. Jahrhunderts. Sein in einige tausend Aphorismen gegossenes Denken überragt den demokratisch - "philosophischen" Mainstream gleich einem Himalaya-Gebirge.
Inhaltsverzeichnis
Leben
Nicolás Gómez Dávila wurde als Sohn einer wohlhabenden Textilhändlerfamilie spanischer Herkunft in Kolumbien geboren. Als er das schulfähige Alter erreicht hatte, verlegten seine Eltern ihren Wohnsitz nach Paris, um ihm eine humanistische Ausbildung zukommen zu lassen und ihn in die europäische Kultur einzuführen. Er besuchte zunächst eine Schule des Benediktinerordens, bis sein Unterricht – bedingt durch zweijährige Bettlägerigkeit, hervorgerufen durch eine schwere Lungenerkrankung – durch Hauslehrer fortgesetzt werden mußte. Dávila erlernte Französisch, Englisch, Latein und Altgriechisch. Weiterhin eignete sich der Autodidakt Dávila, der nie eine Universität besuchte, im Laufe seines Lebens die Sprachen Italienisch, Portugiesisch, Deutsch und – kurz vor seinem Tod – Dänisch an. Letztere, um Sören Kierkegaard im Original lesen zu können. Im Alter von 23 Jahren kehrte Dávila nach Kolumbien zurück und heiratete Emilia Nieto Ramos, mit der er zwei Söhne und eine Tochter hatte und bis zu seinem Tod verheiratet blieb. Die Schuljahre in Paris sollten neben einer mehrmonatigen Reise, die ihn 1949 mit seiner Frau durch Europa führte (dem er anschließend eine Zukunft als „Mischung aus Bordell, Verlies und Zirkus" prophezeite), sein einziger Auslandsaufenthalt gewesen sein.
Davila lebte äußerst abgeschieden als Privatgelehrter in einer Villa am Stadtrand von Santa Fe de Bogotá. Seine Bibliothek, die an seinem Lebensende etwa 30.000 Bände in fast allen abendländischen Sprachen zählte, betrachtete er als seine wahre Heimat. Angebotene politische Ämter, wie das des Präsidentenberaters oder des kolumbianischen Botschafters in London, lehnte er ab. Besuche im Jockey-Club von Bogota gehörten zu seinen seltenen Auftritten im öffentlichen Leben.
1992 reiste der Wiener Verleger Peter Weiß nach Bogota, um Davila kennenzulernen und mit ihm über die Rechte an seinem Werk zu verhandeln. Dávila zeigte sich zunächst skeptisch, sagte dann aber zu unter der Bedingung, daß sein Werk vollständig veröffentlicht werde.
Geistige Welt
Der Stil seines Werkes ist essayistisch-aphoristisch geprägt und damit zwischen Literatur und Philosophie einzuordnen. In seinen Büchern (Notas, Textos, Escolios a un texto implícíto etc.) haben Begriffe wie "Konservativer" und "Reaktionär" eine positive Bedeutung. Davila verstand sich als Kritiker des Marxismus, der Demokratie, des radikalen Liberalismus, des ideologischen Faschismus und eines blinden Fortschrittsglaubens.
Davilas Hauptausdrucksmittel sind Aphorismen oder Scholien eines "inbegriffenen Textes" (den man sich dazudenken muß). "Die Taktiken der herkömmlichen Polemik", rechtfertigt er dieses Verfahren, "scheitern am unerschrockenen Dogmatismus des zeitgenössischen Menschen. Zu seiner Zerstörung bedürfen wir der Kriegslisten eines Guerillakämpfers. Wir dürfen ihm nicht mit systematischen Argumenten gegenübertreten noch ihm methodisch mit alternativen Lösungen aufwarten. Wir müssen mit jeder x-beliebigen Waffe aus jedem x-beliebigen Gestrüpp auf jede x-beliebige moderne Idee schießen, die allein auf dem Weg vorrückt." Auch findet er, die "fortlaufende Rede" tendiere dazu, "die Brüche des Seins zu verbergen." Nur das "Fragment" sei daher "Ausdruck redlichen Denkens", "der Ausdruck desjenigen, der lernte, daß der Mensch zwischen Fragmenten lebt." "Was in der Philosophie nicht Fragment" sei, brandmarkt Davila als "Betrug". Über ein kohärentes Weltbild verfüge allenfalls Gott.
Reaktionär
Davila bezeichnet sein Denken als "reaktionär", revoltierend gegen die Moderne und im Bestreben, unbedacht Vergessenes wieder in Erinnerung zu bringen. Dazu gehört für ihn vor allem, daß die Welt sich nicht auf einen vernünftigen Begriff bringen läßt: "Reaktionär sein heißt, nicht an bestimmte Lösungen glauben, sondern ein scharfes Gespür für die Komplexität der Probleme haben." Der Reaktionär weigere sich, "die Inkohärenz der Dinge zu vergewaltigen"; er widerspreche sich, weil er "der Realität allein Treue geschworen" habe. Der aufklärerische Rationalismus sei keinesfalls "Ausübung der Vernunft", sondern vielmehr "Ergebnis bestimmter philosophischer Unterstellungen, die den Anspruch erhoben" hätten, "mit der Vernunft in eins gesetzt zu werden." "Der Reaktionär" behaupte gegenüber der Aufklärung nicht, daß es keine universalen Prinzipien gebe, sondern bestreite, daß die von der Aufklärung verkündeten Prinzipien Teil der universalen Prinzipien seien. "Der Reaktionär strebt nicht danach, rückwärts zu gehen, sondern die Wegrichtung zu ändern."
Der Reaktionär zieht jedem wissenschaftlichen oder systematischen Weltbild die Erkenntnis des zwar unzusammenhängenden, aber dafür unmittelbar Gegebenen vor, wozu für den Reaktionär unbedingt auch die Werte zählen. Deren Lehre sei sogar "die einzige rein empirische Wissenschaft", da der "Wert … die einzige vollkommen autonome Präsenz" sei. Denn das menschliche Leben zerfalle im Wesentlichen in Entscheidungen für oder gegen bestimmte Werte. Ihre Objektivität bewähre sich im Kunstwerk, einer "Art Apparat, der uns dazu anstiftet, Werturteile abzugeben." Das Wertvolle sei hier nie abstrakt, sondern in seiner unmittelbar gegebenen Einzigartigkeit erfasst: "Die literarische Intelligenz ist die Intelligenz des Konkreten." In solchem Kunstschaffen erkennt der Reaktionär eine Verschwörung gegen die Entzauberung der Welt.
Des Weiteren zeigt sich für ihn das Wirklich-Unmittelbare nicht im Hervorragenden, sondern im Alltäglichen: "Die Norm, die in der Humanwissenschaft nicht betrügt: die Gemeinplätze der abendländischen Tradition." Nur das Durchdenken von Selbstverständlichkeiten führt nach Davila zur echten Weisheit.
Themen
Glaube, Liebe, Hoffnung
"Der Moderne ist der Mensch, der vergisst, was der Mensch vom Menschen weiß", stellt Davila fest. Was aber "die Kenntnis des Menschen" angehe, so gebe es "keinen Christen (vorausgesetzt er ist kein fortschrittlicher …), dem irgend jemand irgend etwas vormachen könnte". Davilas Reaktionär ist Christ und glaubt nicht, daß es über den Menschen noch irgendetwas Neues zu erfahren gibt. Der Mensch entwickele sich nicht. Was man in den frühesten Aufzeichnungen über ihn nachlesen könne, gelte unverändert heute. "Die Geschichte" aber "wäre wesentlich friedlicher, wenn es darin nur Ökonomie und Sex gäbe. Der Mensch ist eine weit entsetzlichere Bestie." Die menschliche Natur sei sündhaft und könne nur durch ein Leben nach den Geboten Gottes – zu glauben, zu lieben und zu hoffen – erlöst werden. "Die menschliche Natur ist nicht Ergebnis der Gesellschaft, sondern ihre Ursache."
Der Reaktionär erinnere uns an Zeiten, in denen ein Leben in dem Maße an Sinn gewann, in dem sich die anständigen Teile eines Menschen gegen die verderbten entwickelten. "Die Idee der ‚freien Entfaltung der Persönlichkeit‘ scheint" im Vergleich dazu "ausgezeichnet, solange man nicht auf Individuen stößt, deren Persönlichkeit sich frei entfaltet hat."
- Der Mensch ist nur wichtig, wenn Gott zu ihm spricht und während Gott zu ihm spricht.[1]
- Es gibt keine Dummheit, an die der moderne Mensch nicht imstande wäre zu glauben, sofern er damit nur dem Glauben an Christus ausweicht.[2]
- Außer Gott gibt es nichts, worüber klugerweise ernsthaft gesprochen werden muß.[3]
- Das Denken kann die Idee von Gott umgehen, wenn es sich darauf beschränkt, subalterne Probleme zu meditieren.[4]
- Die Kulturen verdorren, wenn ihre religiösen Bestandteile sich in nichts auflösen.[5]
- Wo das Christentum verschwindet, erfinden Habsucht, Neid und Geilheit tausend Ideologien, um sich zu rechtfertigen.[6]
- Wenn der Mensch sich nicht von den Göttern in Zucht nehmen läßt, nehmen ihn die Dämonen in Zucht.[7]
- Der moderne Klerus glaubt, den Menschen näher an Christus heranzuführen, wenn er dessen Menschtum betont. – Er vergißt, daß wir Christus nicht vertrauen, weil er Mensch ist, sondern weil er Gott ist.[8]
- Der größte moderne Irrtum besteht nicht in der These vom toten Gott, sondern im Glauben, daß der Teufel tot ist.[9]
- Das Böse kann nicht siegen, wo das Gute nicht schal geworden ist.[10]
- Der Teufel kann ohne die leichtfertige Kollaboration der Tugenden nichts ausrichten.[11]
Entwicklung
Der Reaktionär glaubt nicht an Fortschritt. Eines Ereignisses oder Verhältnisses in der Welt wird man nach ihm nicht inne durch die Würdigung seines Voraus- oder Zurückgebliebenseins im Hinblick auf irgendeine vorgestellte oder angesagte Entwicklung, sondern nur durch Gewahrung seiner Unvergleichlichkeit. Was "von Gott entfernt, ist nicht die Sinnlichkeit, sondern die Abstraktion."
"Wenn man sagt, jemand ‚gehöre seiner Zeit‘ an, sagt man lediglich, daß er mit der Mehrheit der Trottel in einem bestimmten Moment übereinstimmt". Was nicht mehr einmalig in Gott aufgehoben erscheint, vergeht in Moden oder Verläufen, die ins Künftige schieben, was sie nie einzulösen vermögen, und darüber die einzige Wirklichkeit vertilgen.
Demokratie
Davuila lehnt die Demokratie kategorisch und uneingeschränkt ab.
Vulgarität der Moderne
- "Was anzieht, selbst sexuell, ist weniger ein nackter Körper als eine Fleisch gewordene Seele."[12]
- "Die Zivilisation geht ihrem Ende zu, wenn die Landwirtschaft aufhört, eine Lebensform zu sein, und zur Industrie wird."[13]
- "Der moderne Mensch nimmt bereitwillig jedes Joch auf sich, solange nur die Hand, die es aufzwingt, unpersönlich ist."[14]
- "Nach der Tugend hat dieses Jahrhundert das Laster in Verruf gebracht. Die Perversionen sind zu Vorstadtparks geworden, in denen die Menge sich vertraut bewegt."[15]
- "Die Dummheit bemächtigt sich mit teuflischer Leichtigkeit der Erfindung der Wissenschaft."[16]
Werke
- Einsamkeiten. Glossen und Text in einem. Karolinger, Wien 1987
- Auf verlorenem Posten. Neue Scholien zu einem inbegriffenen Text. Karolinger, Wien 1992
- Aufzeichnungen des Besiegten. Fortgesetzte Scholien zu einem inbegriffenen Text. Karolinger, Wien 1994
- Texte und andere Aufsätze. Karolinger, Wien 2003
- Notas. Unzeitgemäße Gedanken. Matthes & Seitz, Berlin 2005
- Das Leben ist die Guillotine der Wahrheiten. Ausgewählte Sprengsätze. Eichborn, Frankfurt 2006
- Scholien. Karolinger, Wien 2006
- Es genügt, daß die Schönheit unseren Überdruss streift … Aphorismen. Ausw. u. Hrsg.: Michael Klonovsky. Reclam, Stuttgart 2007
- Scholien. Ein Nachtrag. Karolinger, Wien 2014
Verweise
Einzelnachweise
- ↑ Auf verlorenem Posten. S. 130
- ↑ Einsamkeiten. S. 65
- ↑ Aufzeichnungen des Besiegten. S. 52
- ↑ Aufzeichnungen des Besiegten. S. 40
- ↑ Auf verlorenem Posten. S. 49
- ↑ Aufzeichnungen des Besiegten. S. 101
- ↑ Einsamkeiten. S. 105
- ↑ Aufzeichnungen des Besiegten. S. 91
- ↑ Einsamkeiten. S. 25
- ↑ Auf verlorenem Posten. S. 239
- ↑ Auf verlorenem Posten. S. 147
- ↑ Es genügt, daß die Schönheit unseren Überdruß streift. S. 18
- ↑ Einsamkeiten. S. 115
- ↑ Einsamkeiten. S. 137
- ↑ Einsamkeiten. S. 14
- ↑ Aufzeichnungen des Besiegten. S. 35