Der Tag des Gerichts
- Komponiert von Georg Philipp Telemann
- Text von Telemanns Schüler Christian Wilhelm Alers aus Hamburg
Inhaltsverzeichnis
- 1 Handelnde Personen
- 2 Die Erste Betrachtung
- 3 Die Zweite Betrachtung
- 4 Die Dritte Betrachtung
- 4.1 Recitativo accompagnato, Alto (Die Andacht)
- 4.2 Arioso, Tenor (Der Erzengel)
- 4.3 Recitativo, Alto (Die Andacht)
- 4.4 Aria, Basso (Jesus zu den Gläubigen)
- 4.5 Chor der Gläubigen (Te Deum)
- 4.6 Recitativo, Tenore (Der Unglaube)
- 4.7 Chor der Laster
- 4.8 Recitativo, Tenore (Der Unglaube)
- 4.9 Aria, Basso (Jesus zu den Gottlosen)
- 5 Die Vierte Betrachtung
Handelnde Personen
- Der Unglaube
- Die Vernunft
- Der Spötter
- Die Religion
- Die Andacht
- Der Glaube
- Der Erzengel
- Jesus
- Evangelist Johannes
- Chor der Seligen
Die Erste Betrachtung
Ouverture
Der Chor der Gläubigen
Der Herr kommt mit vieltausend Heiligen, Gericht zu halten über alle.
Recitativo, Basso (Der Unglaube)
Ruft immerhin, des Pöbels Wut zu zähmen,
denn ihre Furcht ist eu’r Gewinn.
Ruft immerhin: "Einst wird die Welt ihr Ende sehn,
der Elemente Werk vergeh’n
und das Gericht sich offenbaren!“
Gericht? Ich lache der Gefahren,
die schon seit Millionen Jahren
des Aberglaubens Schrecken waren.
Seht, Welt und Elemente stehn,
euch, feige Sklaven, zu beschämen.
Aria, Basso (Der Unglaube)
Fürchtet nur, fürchtet des Donnerers Schelten,
verlöschende Sonnen und stürzende Welten,
zittert im Staube - wir steigen empor!
Uns rufet von jenen hellblickenden Sternen
die Stimme der Wahrheit, o wolltet ihr lernen!
Es bleibet alles nach wie vor.
Recitativo - Szene
Basso (Der Unglaube)
Wer ist, der kühn sein Joch zerreißt?
Wer denkt durch sich? Wer ist ein freier Geist?
Wer hört des Wahnes finstre Rede,
und ist sie zu verschmäh’n zu blöde? Wer -
Soprano (Die Vernunft)
Schweig!, du jedes Glücks Verwüster!
Wie lange willst du noch der Laster Lügenpriester,
der Mörder meiner Söhne sein!
Wie klagt ich euch, verblendete Verführte,
wenn euch sein täuschendes Gesicht,
sein falscher Glanz mehr als mein reines Licht,
sein Wink euch mehr als meine Stimme rührte!
Bald sandt’ ich die Philosophie,
euch ernstlich euren Wahn zu zeigen,
und bald, Satyre, dich!
Tenore (Der Spötter)
Dank sei dir! Aber ich gewann gleich jener
nie das Herz der rasenden Verächter.
Ich spottete, sie wurden zum Gelächter.
Allein nicht Ernst, nicht Spott konnt’ ihren Nacken beugen.
Was half’s? Wir mußten schweigen.
Aria, Tenore (Der Spötter)
Jetzt weiß ich’s, überkluge Köpfe,
warum kein Spott, kein bittres Lachen
euch besser konnte machen.
Es täuscht mich eu’r Gesicht.
Ihr menschenähnlichen Geschöpfe,
seid Menschen selbst noch lange nicht.
Recitativo, Alto (Die Vernunft)
Genug der Schande bloßgestellt,
doch wenn, Unglaube, dir noch mein Besitz gefällt:
O so erröte hier!
Was predigt dir die lehrende Geschichte,
was die Erfahrung aller Zeit?
"Wenn dort der Ozean mit ungestümer Macht
die meilenlangen Wellen hub
und unsrer Vorwelt alte Pracht
tief in sein nasses Grab begrub“,
so sprich: Wie schicken sich zur Dinge Ewigkeit,
zur unveränderlichen Welt verheerende Gerichte?
Aria, Alto (Die Vernunft)
Des Sturmes Donnerstimmen schallen,
seht, Gebirge wanken, fallen
und fallen zur untersten Tiefe hinab;
nun wühlt er im Schoße der Erde - sie kracht,
und vieler Säklen stolze Pracht
steht? nein, versinket ins traurige Grab.
Recitativo, Soprano (Die Religion)
Ganz recht, das Endliche vergeht,
der Zufall kann nicht ewig währen.
Nur Gott, der Welten Herr, besteht.
Dies, Freundin, sagen mein’, dies sagen deine Lehren.
Wie könnte Gott die Menschen, die ihn hassen,
stets Sieger sein und Fromme quälen lassen!
Der Fromme glaubt und lebt gerecht:
Der Böse schmäht Vernunft, mich und die Bibel,
und doch ist dieser Herr, und jener ist sein Knecht.
Den schwellt die Wollust auf
und jenen drücken Übel.
Nein! Gott hat schon die Rächepfeile,
den Tod der Mörder ausgesucht.
Ein Tag der Schrecken bricht herein,
von Gnade voll und schwer von Pein,
Zum Fluche dem, der Gott geflucht,
und seinen Gläubigen zum Heile.
Chor der Gläubigen
Dann jauchzet der Gerechten Same,
dann wird dein majestät’scher Name,
o Gott Jehova, herrlich sein.
An jeder der geweinten Zähren
wird deine Gnade sich verklären,
wird Gott Jehova herrlich sein,
Und an der Laster grausem Heulen,
die dann gestraft zum Abgrund eilen,
wird Gott Jehova herrlich sein.
Die Zweite Betrachtung
Chor
Es rauscht - so rasseln stark rollende Wagen.
Wer ist’s? Es ist Jesus!
Auf Blitzen getragen
fährt er zum Weltgericht daher.
Vor seinem allmächtigen Schelten
zerreißen die Welten
und sind nicht mehr.
Recitativo accompagnato, Basso (Die Andacht)
Da sind sie, der Verwüstung Zeichen!
Hört, wie die lauten Donner brüllen! -
Weit um sich sprüh’n sie Flammen her
und droh’n der Erde, droh’n den Sternen,
drohn ihre Kräfte zu verheeren.
Noch nie empfund’ne Schauer füllen
mit unausstehlich herbem Schmerz
der Sterblichen beklomm’nes Herz.
Die süße Harmonie der Sphären
löst sich in rauhen Mißklang auf,
die Wolken peitscht der Sturm zum raschen Lauf,
der Sterne Heere weichen aus ihrem alten Gleis -
o güldnes Sonnenlicht!
Dein strahlend Angesicht erbleicht
und sieht nicht mehr der schimmernden Planeten Kreis
sich ehrfurchtsvoll um dich bewegen.
Die Erde ächzt beim Mangel deiner Segen,
der Mond verläuft aus seiner Bahn,
und in dem wilden Ozean
schmeißt die Empörung jede Welle
an die erschrocknen Ufer an.
Zum Widerstand zu schwach,
entflieh’n die Ufer ihrer Wut -
doch die empörte grause Flut
tobt ihnen schäumend nach.
Aria, Basso (Die Andacht)
Da kreuzen verzehrende Blitze
und schießen vom flammenden Sitze
des Richters herab.
Nun eilet der Sturmwind mit brausendem Rasen
die rächenden Feuer zur Erde zu blasen,
und bläst sie hinab.
Recitativo, Tenore (Der Glaube)
Gewaltig Element!
Ja, wüte nur von Zon’ zu Zone! Erhebt,
Tyrannen, auf dem Throne,
Gott richtet,
Gott, den ihr verkennt!
Wie fürchterlich die wilden Flammen knittern!
Meer, Himmel, Erd’ und Luft sind Glut.
Ein laut Getös’ von tausend Ungewittern
verkündigt ihre volle Wut.
Erbebet, rings um euch glühen Flammen,
und über euch herrscht Gott, euch zu verdammen!
Arioso, Soprano (Der Glaube)
Ich aber schwinge mich empor,
empor aus diesen öden Trümmern.
Dort jubiliert der Engel Chor,
dort seh’ ich Jesu Wunden schimmern.
Er nähert sich, Glanz ist sein Kleid,
o Majestät, o Seligkeit!
Die Dritte Betrachtung
Recitativo accompagnato, Alto (Die Andacht)
Ich sehe, Gott, den Engel deiner Rache!
Du hast ihn vor dir hergesandt,
daß der entschlafne Staub erwache.
Sein Glanz ist wie die Morgenröte,
das Racheschwert in der rechten Hand
und in der linken die Trompete
ertönt - und alle Särge springen,
ertönt - und jedes Grab ist leer!
Noch tönt er, und das wüste Meer
muß seine Toten wiederbringen,
er spricht - sein Ton ist Feldgeschrei!
Arioso, Tenor (Der Erzengel)
So spricht der Herr, der mich gesandt:
Auf, zum Gericht,
herbei, herbei, vermoderte Geschlechter!
ihr, die ihr Ihn als Gott erkannt,
ihr stehet ihm zur rechten Hand,
und Ihm zur Linken, ihr Verächter!
Recitativo, Alto (Die Andacht)
Nun dränget sich der Kreis der ganzen Erde
zu dem verklärten Menschensohn.
in Silberwolken glänzt sein güldner Thron.
Dort schauet er mit göttlicher Gebärde
die Neubelebten an.
Mit Himmelsrüstung angetan,
seh’ ich um ihn in lichten Kreisen
die starken Heere Gottes stehn,
um ihren Sieger zu erhöhn
und sein Gericht in Ewigkeit zu preisen.
Posaunen tösen!
Donner sprechen!
Nun will er segnen,
will er rächen!
Er winket -
das Gericht hebt an.
Aria, Basso (Jesus zu den Gläubigen)
Seid mir gesegnet, ihr Gerechten,
kommt, erbet meines Vaters Reich!
ihr waret meine treuen Knechte.
seid selig, seid den Engeln gleich!
Chor der Gläubigen (Te Deum)
Du, Ehrenkönig, Jesu Christ,
Gott Vaters ew’ger Sohn du bist.
Der Jungfrau’n Leib nicht hast verschmäht,
zu erlös’n das menschlich’ Geschlecht.
Du hast dem Tod zerstört sein’ Macht
und alle Christ’n zum Himmel bracht,
du sitzt zur Rechten Gottes gleich
mit aller Ehr’ in Vaters Reich.
Recitativo, Tenore (Der Unglaube)
Da sitzet Er - o wie nenn’ ich ihn?
Wie flammt sein ernster Blick,
flieht, ach, flieht zurück!
O Qual! Wer wird dem Blick entflieh’n?
Wie jene dort in Himmels Schönheit blüh’n!
Ein Siegeslied? Oder Donner Worte!
Für sie eröffnet Er des Himmels hohe Pforte.
Und wir? Ha, dies ist Höllenpein!
Was wird sein grausam Urteil sein?
Chor der Laster
Ach Hilfe! Weh uns! Hilfe! Rat!
Ihr Hügel, ihr Berge, stürzt über uns her!
Verflucht sei unsere Missetat,
ersäuf uns, du kochendes Meer
ersäuf uns! Stürzet! Weh uns! Rat!
Recitativo, Tenore (Der Unglaube)
Wir fleh’n umsonst. - Der Tod entweicht!
Hört ihr’s? Das ist des Richters Stimme,
die dem zerschmetternden Grimme
von tausend Donnerkeilen gleicht!
Aria, Basso (Jesus zu den Gottlosen)
Hinweg von meinem Angesichte!
Ihr Feinde Gottes, seid verdammt!
Euch martre ewig eu’r Gewissen
und Satan, der euch leiten müssen,
und jene Hölle, die dort flammt.
Die Vierte Betrachtung
Chor der Engel und Auserwählten
Schallt, ihr hohen Jubellieder,
schallt durch alle Himmel wieder,
werdet ein harmonisch Chor!
In vereinten Myriaden
singt von des Messias Gnaden,
von des neuen Edens Flur!
Arioso
Basso (Johannes)
Nun ist das Heil und die Kraft
und das Reich und die Macht
Gottes seines Christus worden,
Heilig ist unser Gott!
Chor der Vorigen Heilig ist unser Gott!
Arioso, Tenore (Ein Seliger)
Ein ew’ger Palm umschlingt mein Haar,
das sonst in Tagen der Gefahr,
in Kedars öden Hütten
ein Myrthenzweig umschloß.
Der Kummer, den die dort gelitten,
und aller Zeiten Leiden,
wie klein sind die,
und diese Freuden wie unermeßlich groß!
Chor der Vorigen
Heilig ist unser Gott!
Arioso, Alto (Ein Zweiter Seliger)
Heil! Wenn um des Erwürgten willen
mein Blut, der Mordsucht Durst zu stillen,
aus jeder Ader strömend floß.
Die Tropfen, die ich mild vergossen,
sind hier zu Perlen zusammengeflossen,
und diese schöne Kone
umstrahlet sternengleich mein Haupt.
Dank sei dem Sieger, dem göttlichen Sohne,
und Leben dem, der an ihn glaubt.
5. Arioso
Basso (Johannes)
Das Lamm, das erwürget ist, ist würdig zu nehmen, Anbetung, Preis und Dank.
Chor der Seligen Heilig ist unser Gott, der Herre Zebaot!
Aria, Soprano (Ein Dritter Seliger)
Ich bin erwacht nach Gottes Bilde
in Weisheit und Gerechtigkeit.
Hier trink ich im göttlichen Friedensgefilde
die Ströme der Zufriedenheit.
Mich sättigen auf grüner Weide
die Frucht des Lebens Freude,
Freude und Segen Gottes ewiglich.
Gott ist’s, den ich zum Hirten habe,
und unter seinem sanften Stabe
erquicket meine Seele sich.
Chor der Seligen
Lobt ihn, ihr Seraphinen-Chöre,
lobt ihn, ihr Auserwählten,
singt ihm Ehre,
dem Schöpfer unsrer Seligkeit!
Jesus Christus, Gottes Sohn,
hat uns vom Gericht befreiet,
fallet hin vor seinem Thron,
benedeiet, benedeiet! Amen.
Recitativo, Alto (Der Glaube)
Es ist geschehen! Die Tugend ist gerächt!
Seht da das göttliche Geschlecht
den Engeln gleich
in Jesu Christi Reich
mit Palmen schön umkränzet gehen.
Sein Siegeswagen kehrt zurück,
von den Unsterblichen umringet,
Sieg blitzt aus jedem Blick,
und jede Zunge singet:
Die Chöre der Himmlischen
Die Rechte des Herrn ist erhöhet,
die Rechte des Herrn behält den Sieg!
Er hob die gewaltige Rechte
allmächtig empor
und zog durch der Gräber Nächte
den Staub hervor.
Er warf der Höhen Ungeheuer
und seine frevelnden Mächte
und aller Laster Knechte ins Feuer.
Posaunet vor dem Sieger her,
er kömmt mit der erwählten Menge!
Ihre Zahl ist wie Sand am Meer,
und Ewigkeit ist ihres Lebens Länge!
Eröffnet mit frohem Getümmel
dem jauchzenden Zion das Tor
und singt dem neubevölkerten Himmel
die ew’gen Hymnen vor!