Julirevolution 1830 (Jarcke)

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Nachwort des Buchs

Die Ordonnanzen sind bloß die gelegentliche Veranlassung der Revolution von 1830; die wahren Ursachen derselben liegen tiefer und sind in dem seinem Prinzip nach unwahren, seiner Anwendung nach unausführbaren Repräsentativsystem zu suchen, welches die Ratgeber Ludwigs XVIII. in unbegreiflicher Verblendung über sein Interesse und die wahren Bedürfnisse Frankreichs durch die Charte von 1814 geheiligt haben.

Sie haben dadurch die zweite Revolution geschaffen. Nachdem die Zeit ungenutzt verstrichen war, während welcher die Könige von Frankreich noch die Macht besaßen, die Gefahr derselben von sich und dem Lande abzuwenden, haben sie endlich mit unzureichenden Mitteln einen Kampf zu einer Zeit unter Umständen versucht, wo der nachteilige Erfolg für sie nicht mehr zweifelhaft sein konnte.

Dieses Alles mag ihnen im Interesse von Frankreich und Europa zur Last gelegt werden, aber es rechtfertigt im geringsten nicht die Revolution. Vielmehr ist es gewiß, daß Karl X., als er endlich seine wahre Lage erkannte, seinen Nachkommen, den Anhängern des Königtums in Frankreich, ja allen seinen Untertanen, selbst wenn sie irregleitet waren und endlich allen übrigen europäischen Mächten gegenüber die bestimmte Pflicht hatte, bei drohender Gefahr Maßregeln zu ergreifen um seinen Thron und die bestehende Verfassung zu schützen.

Er hatte durch sein von Gott ihm anvertrautes königliches und obrigkeitliches Amt auch die sittliche Befugnis, eine von den Feinden der Legitimität in seinem Lande angesponnene Revolution durch alle ihm zu Gebote stehenden Mittel zu verhüten und die Verbrechen, welche jene, um zu ihrem Zwecke zu gelangen, begangen hatten, nach Gebühr zu bestrafen.

Ob die buchstäblichen Bestimmungen der Chartre ihm hierzu die Mittel darboten, ob insbesondere der 14te Artikel derselbe ihm jene außerordentliche Macht verliehen habe, deren er bedurfte, ist von den verschiedenen Parteien verschieden beantwortet worden und kann in der Tat zweifelhaft erscheinen. Jedoch kann bei einer redlichen Interpretation der Chartre auch keineswegs aus derselben abgeleitet werden, daß er das Recht nicht gehabt, die zur Sicherheit des Staats notwenigen Verfügungen zu erlassen.

Wenn aber auch die Charte ihm diese Befugnis nicht ausdrücklich verliehen hätte, so kann dennoch Karl X. der Vorwurf des Eidbruchs in rechtlicher und sittlicher Hinsicht nicht aufgebürdet werden. Sein Krönungseid stellte mehrfache Forderungen an ihn auf, die unter den Umständen und der Zeit, wo er die Ordonnanzen erließ, nicht mit den Buchstaben der Chartre vereinbar waren. Auch waren seine aus dem auf die Chartre sich beziehenden Teile des Eides erwachsenen Verpflichtungen durch den späterhin eingestandenen Treubruch der anderen Kontrahenten gelöst.

Aus den Geständnissen und den von ihnen entsprechenden späteren Handlungen der revolutionären Partei ergibt sich ferner die volle Gewißheit, daß die von dem Könige vorhergesehene Gefahr für den Thron und die Verfassung wirklich vorhanden war.

Auf jeden Fall läßt sich aus den Handlungen, Äußerungen und leider auch aus den Unterlassungen des Königs und seiner Minister der Beweis führen, daß er bei Erlassung der Ordonnanzen sich im guten Glauben an deren Notwendigkeit und Rechtmäßigkeit befand.

Dagegen war die Faktion,[1] welche die Revolution von 1830 vorbereitet und geleitet hat, bei ihrem angeblich für die Charte unternommenen Kampfe nicht im guten Glauben, weil sie bereits früher gegen die Dynastie und Verfassung konspiriert hatte, weil sie geständigermaßen, mit Absicht und Vorbedacht, den König in eine Lage brachte, in welcher er sich nur durch ein außerordentliches Mittel vor dem sicheren Untergang retten konnte, und weil sie endlich, nachdem sie den Sieg davongetragen, dieselbe Charte vernichtete, für welche sie die Insurrektion vorgeblich unternommen hatte.

Wenn man aber auch die Unrechtmäßigkeit dér Ordonnanzen annehmen wollte, so sind dadurch die ferneren Handlungen der herrschenden liberalen Faktion in keiner Weise motiviert und gerechtfertigt. Denn eine bewaffnete Notwehr gegen des Königs Autorität, auch wenn das Recht dazu, was nicht der Fall ist, sich aus der Charte hätte ableiten lassen, würde immer nur so weit gereicht haben, als der ungerechte Angriff es notwendig machte. Dieser fiel aber mit der Zurücknahme der Ordonnanzen, der Ernennung liberaler Minister, endlich mit der Thronentsagung des Königs und des Dauphins, völlig weg.

Die liberale Faktion hätte mithin, auch wenn man ihren Widerstand gegen die Ordonnanzen als gerechtfertigt annehmen wollte, kein Recht, die Dynastie des Thrones für verlustig zu erklären und die Charte umzuwerfen, und am wenigsten konnte diese Befugnis der Minorität der beiden Kammern eingeräumt werden.

Das Resultat der Revolution von 1830 besteht endlich darin, daß mit Beibehaltung des Namens der Sache nach die frühere königliche Autorität in Frankreich aufgehoben und die Volkssouveränität, freilich noch nicht mit allen ihren Konsequenzen, als Prinzip der Verfassung angenommen ist.

Damit ist jedoch die Revolution keineswegs beendigt, sondern vom Augenblick des Sieges an stehen dort wieder zwei Parteien feindlich gerüstet in heftiger Opposition einander gegenüber. Die jetzt herrschenden Geldreichen und deshalb gemäßigten Liberalen sind in die Stelle der Bourbonen getreten und werden mit nicht geringerer Erbitterung als jene, von einer konsequenteren, auf demokratische Institutionen dringenden Revolutionspartei bestürmt. Noch ist der Sieg zweifelhaft und kein Sterblicher vermag zu enthüllen, wie die Lose fallen werden; aber die Geschichte hat bis jetzt gelehrt, daß die Geschicke sich erfüllen mußten und keine Weltbegebenheit auf halbem Wege der Entwicklung stehen bleiben konnte.

So viel über den Inhalt dieser Schrift, insofern sie sich auf die Schicksale Frankreichs bezieht.

Die Ereignisse in Frankreich sind aber auch für ganz Europa verhängnisvoll geworden, und ehe noch das Jahr sich zu seinem Ende neigte, brach in verschiedenen Ländern eine rasch aufeinander folgende Reihe von Empörungen aus, deren Häupter sich zum großen Teile auf den Vorgang der Pariser Julitage beriefen. Sie wurden, je nach der Gesinnung der Zuschauer, entweder mit der Ratlosigkeit und Lähmung aufgenommen, wie sie gewöhnlich sind, wenn der Feuerruf des Wächters unangenehm aus dem tiefen Schlaf weckt, oder mit dem hellen Jubel der Freude als Boten des goldenen Zeitalters der liberalen Herrschaft begrüßt.

Viele wollten sich auch das Ansehen geben, als glaubten sie an keine Gefahr. Mansche aber haben in dem Brausen des Zeitsturmes die Stimme des Weltgeistes vernommen und in ihrer Brust sind ernste Gedanken wach geworden über das Tun und Treiben unseres Geschlechtes in dieser Zeit. - Sie haben den Ernst derselben erkannt und sind inne geworden, daß der Gott, vor welchem keine Falschheit und Halbheit bestehen mag, einen Tag des Gerichts halten will über die europäischen Völker und ihre Hirten, um zu verwerfen, was zu leicht befunden wird.

Auch wir erheben unsern Blick von dem Lande, dessen jüngste Revolution wir hier geschildert haben zu einer allgemeinen Betrachtung. Wir sehen allenthalben dieselben revolutionären Erscheinungen; das bloße Beispiel von Paris erklärt sie ebenso wenig vollständig als der Nachweis, daß manche Aufstände durch fremdes Geld und fremde Emissarien[2] künstlich erregt wurden; noch weniger sind die Beschwerden, die bei den einzelnen Aufständen als Vorwand oder nächste Veranlassung dienten, mit der wahren und tiefer liegenden Ursache zu verwechseln.

Ohne eine solche würde kein fremdes Beispiel, kein ausländisches Geld und keine revolutionäre Propaganda, es würde nicht einmal das Vorhandensein wahrer Beschwerden hingereicht haben, um Revolutionen zu erregen.

Jene allgemeine Ursache aber ist keine andere als der revolutionäre Geist, welcher gleichsam als Theorie der Revolution durch alle Lande von Europa geht. - Wir verstehen darunter ein System von Grundsätzen, die durchaus nicht immer die persönliche Bosheit oder Schlechtigkeit derer voraussetzen, die sich zu ihnen bekennen, vielmehr ihre größte Stärke durch den guten Glauben einer großen Zahl ihrer Proselyten erhalten. Jene Prinzipien aber sind teils religiöser, teils politischer Natur, und zwar ist der politische Teil derselben bloß die äußere Seite der Vorstellungen auf dem religiösem und sittlichen Gebiete, in diesen aber liegt der Schlüssel und die Wurzel des ganzen Systems.

Wollen wir daßelbe aber mit einem Wort bezeichnen, so ist es der Materialismus auf dem Gebiete der Religion und der Politik, - d. h. das Leugnen einer göttlichen und dem Menschen geoffenbarten, historisch fortgepflanzten, ewig wahren Lehre, in welcher alle wahre Religion und Moral enthalten ist, an welche alle menschliche Wissenschaft, wie an einen höchsten Vereinigungspunkt sich anschließen, auf welcher alle Staatsverbindung und menschliche Gesellschaft, wie auf einem notwendigen Fundamente beruhen muß.

Das Leugnen dieser Basis, ohne welche das menschliche Geschlecht nicht bestehen kann, steht in natürlicher Verbindung mit dem Erheben der isolierten Vernunft zur alleinigen Quelle der Wahrheit und höchsten Autorität. Ist sie aber dieses, so hat der Mensch nur sich selbst zu achten und nur sich selbst zu gehorchen, - und dies ist das wahre, von den meisten unbewußt gehegte Grundprinzip des revolutionären Systems, welches in notwendiger und unaufhaltsamer Konsequenz allen Gehorsam, alle Treue und alle Unterordnung in Staat und Kirche vernichtet. Man hat, dieses gegenwärtig auf dem politischen Gebiete als Herrschaft des Gesetzes bezeichnet, und dadurch nach dem pseudophilosophischen Sprachgebrauch daßelbe ausdrücken wollen, was die frühere Revolution als despotisme de la raison, Souveränität der Vernunft, anerkannte und ihm Altäre errichtete.

Dieser revolutionäre Geist hat sich in diesem Jahrhundert anders ausgesprochen als im vorigen. - Offener als jetzt hat er vor 50 Jahren sich als entschlossener, frecher Atheismus ehrlich und unverhüllt kundgegeben. Sein Gegenbild auf dem politischen Gebiete war der Jakobinismus, der rasch das Trugbild einer sogenannten Repräsentationsmonarchie verschmähend, diese als Übergangsstufe hinter sich ließ und mit schnellen Schritten auf sein Ziel, die Republik des souveränen Volkes, hineilte.

Er erreichte es, aber der kühne Traum zerrann als er in die Wirklichkeit trat. Ein glücklicher Feldherr warf, statt des ewigen Friedens und der allgemeinen Republik, auf die man mit Zuversicht gerechnet hatte, das Netz eines eisernen, militärischen Despotismus über Europa und die betörte Welt begann zu verstehen, wohin die Freiheitslehre des 18ten Jahrhunderts sie gebracht. In der Not wendeten sich die Menschen zu dem Gott, den sie und ihre Väter verlassen hatten, schlugen sich reuig an die Brust und taten Gelübde für die Zukunft.

Als aber der Herr der Welt seine gehöhnte Macht bewiesen, als er seine Elemente mit den Waffen der Menschen in einen Bund hat treten lassen, - und als in dem Eroberer von Europa endlich die Revolution von 1789 überwunden und gefesselt war, warf sich der nimmermüde Geist der Lüge in neue Formen. Die Volkssouveränität blieb nach wie vor das Grunddogma der revolutionären Staats- und Freiheitslehre; aber weil sie eben mit den Waffen überwunden war, mußte auch die Lehre sich in mildere Formen hüllen, und mußte ihre Arbeiten an einem Punkte wieder von vorne anfangen, den sie schon vor Jahren hinter sich gelassen, und von dem sie durch die Tat bewiesen hatte, daß sie ihn selbst als Durchgangspunkt betrachtete.

Man leugnete nicht mehr mit offenem Trotze Gott und seine Gebote - aber man kehrte zum Deismus zurück (den man in Deutschland sehr uneigentlich Rationalismus nannte), bewies einem abstrakten, höchsten Wesen angeblich große Verehrung, verbannte es aber in die entlegensten Regionen der Spekulation und gestattete ihm in keiner Sphäre des menschlichen Lebens eine direkte und unmittelbare Einwirkung. Denn die Regierung der Welt sei den Naturgesetzen und der menschlichen Vernunft anheim gefallen, - und eine Berufung auf Gott, ein Hineinziehen des göttlichen Elements in den Kreis des praktischen Lebens wurde als Aberglauben oder Fanatismus fanatisch gehaßt und verfolgt.

Dieser Gesinnung auf dem religiösen Gebiete entsprach in der politischen Sphäre der Liberalismus. Auch dieser scheute sich, aus der Souveränität des Volkes offen die frühere Folgerung der Notwendigkeit einer Republik zu ziehen. Er blieb in der Mitte der Konsequenzen stehen und begnügte sich mit dem s.g. Repräsentativstaate, dessen innern Gehalt uns die Französische Revolution von 1830 kennen lehrte, welche auch zugleich bewies, was unter der, den Königen nach jenem Systeme zugesicherten Heiligkeit und Unverletzlichkeit verstanden sei. - Die letzten 15 Jahre aber sind ein fast ununterbrochener Kampf der unter der Hülle des Repräsentativsystems versteckten Volkssouveränität gegen das Prinzip der Legitimität gewesen; in Portugal, Spanien, Piemont und Neapel besiegt, hat es endlich in Frankreich den vollständigsten Sieg errungen. Jedoch ist der Geist, der diesen Kampf entzündete und nährte, auch in allen anderen europäischen Ländern bei vielen der sogenannten Gebildeten der herrschende, und es ist richtig, wenn man ihn als Zeitgeist oder öffentliche Meinung bezeichnet.

Von dieser allgemeinen Ursache aller Revolutionen unserer Zeit sind die besonderen Veranlassungen wohl zu unterscheiden. Diese bestehen in wahren oder eingebildeten lokalen Beschwerden und Veranlassungen, die in jedem Lande verschieden sind. In Frankreich haben die Ordonnanzen zum Vorwande der Empörung gedient, - mit welchem Recht hat diese Schrift zu zeigen versucht. In Portugal knüpften sich die revolutionären Bestrebungen an den Erbstreit der Mitglieder des Hauses Braganza; in Spanien haben sie die Verlegenheit, in welche die Regierung durch den Verlust Amerikas geraten ist und die Nachwehen der der Napoleonischen Okkupation zur Basis; als nähere Veranlassung aller Unruhen erscheint dort aber ein schwankendes Regierungssystem, welches nach zwei entgegengesetzten Seiten hin, bei den absoluten Anhängern des Alten und denen, die vom Hauche des Zeitgeistes berührt sind, Haß und Widerstand findet.

In Belgien lag die äußere Ursache der Revolution in der politischen _Vereinigung zweier Völker, die in Sprache, Sitten, Geschichte, Glaube und Interesse voneinander geschieden sind und von denen das eine sich von dem anderen mißhandelt und ihm aufgeopfert wähnt. In England ist das Bestreben nach einer demokratischen Veränderung der Repräsentation der Vereinigungspunkt der Mißvergnügten; in Irland forderte die Revolution früher die Emanzipation der Katholiken, jetzt die Auflösung der Union. In Braunschweig und Hessen gab das Mißfallen an der Person und Handlungsweise der Regenten das Signal zum Ausbruche der Aufstände.

In Sachsen wurde der Angriff auf die gesetzliche Ordnung motiviert durch angebliche Mißbräuche bei der Verwaltung des städtischen Vermögens, durch die Abneigung gegen die sogenannten veralteten Formen der Regierung und gegen die Konfession des regierenden Hauses. In Polen erscheint die Revolution als Folge der früheren Teilung des Landes. Zunächst aber wurde sie veranlaßt durch persönliche Beschwerden Einzelner und durch das die Nationaleitelkeit mit neuer Hoffnung stärkende Beispiels Frankreichs und Belgiens. In Rußland endlich hatte 1826 die einen Augenblick hindurch obwaltende Ungewißheit über die Frage, wer der Herr des Landes sei, Thron und Reich in Gefahr des Umsturzes gebracht, wenn der persönliche Heldenmut des Kaisers das Unheil nicht in der Geburt erstickt hätte.

So unendlich verschieden sind die Veranlassungen, welche die Revolution in jedem Lande zum Vorwand gewählt. Durch eine dieser besonderen Ursachen ist allenthalben der erste Ausbruch der Revolution herbeigeführt worden und sie sind es gewesen, die in jedem Lane die äußere Form derselben bestimmten. Aber der eigentliche revolutionäre Geist, als die allgemeine wirkende Ursache der Revolution in Europa, hat sich dann der partikulären Veranlassung bemächtigt, den lokalen Aufständen die zerstörende Kraft gegeben und ihnen ihr eigentliches Ziel gesteckt.

So ist es also vor allen Dingen für die Regenten und für die Regierten notwendig, sich dieses Unterschieds zwischen dem im ganzen Körper wohnenden Krankheitsstoffe und der örtlichen Ursache, die ihn irgendwo sichtbar erscheinen läßt, scharf und lebendig bewußt zu werden. Es ist dieses um so wichtiger, als die Mehrzahl solcher Personen, welche den genannten Zusammenhang nicht kennen, vielleicht bei aller persönlich guten Gesinnung sich bloß an die äußere Gestalt jener furchtbaren Phänomene hält, und aus den lokalen Beschwerden das Recht und den Grund der einzelnen Revolutionen ableitet.

Dieses Verfahren beruht aber auf einem doppelten Irrtume. Jene einzelnen und lokalen Beschwerden sind nirgends die wahren Ursachen der Revolution, diese liegt tiefer und zwar in der oben bezeichneten Gesinnung. In jedem einzelnen Falle kann dieses leicht faktisch nachgewiesen werden, in Beziehung auf die französischen Ordonnanzen haben wir es versucht und fügen hierzu nur noch die Bemerkung, daß die Revolutionen der neuesten Zeit zum Teil aus den entgegengesetzten Ursachen gerechtfertigt werden. Während Karl X. sein Los dadurch verschuldet haben soll, daß er die Jesuiten beschützte, wird gegen den König der Niederlande die Beschwerde erhoben, daß er den letzteren den Eintritt in sein Land verwehrte!

Beschwerden, wie diejenigen, woraus man heutzutage die Revolutionen herleitet, sind stets da gewesen, und werden nach der Unvollkommenheit aller irdischen Einrichtungen und der gebrechlichen Natur der Menschen nicht mangeln, so lange die Welt steht. Auch lehrt die Geschichte, daß in früherer Zeit aus ähnlichen Anlässen möglicherweise Reaktionen und Aufstände entstanden sind, welche wegfielen, sobald die Beschwerden gehoben waren. Innere geistige Ursachen müssen hinzutreten, wenn aus dem Aufstande oder aus der gewaltsamen Auflehnung gegen wirkliche oder vermeintliche Verletzungen sich eine Revolution oder eine Umkehr der Grundlagen der gesellschaftlichen Verhältnisse erzeugen soll. Und eben dieses ist der Fall in unsern Tagen, wo der Kampf sich nicht um Tatsachen sondern um Prinzipien dreht.

So wenig jene Beschwerden demnach als eigentlicher Grund de Revolutionen unserer Zeit angesehen werden können, ebenso wenig läßt sich aus denselben, selbst wenn sie sämtlich gegründet wären, ein Recht zu revolutionären Umwälzungen ableiten.

Es wird die Revolution der Regel nach zur überwiegenden Mehrzahl von denen angestiftet und ausgeführt, die von jenen Beschwerden und angeblichen Verletzungen gar nicht getroffen oder zunächst bedroht sind. Aber auch die, welche wirklich unter den Maßregeln, gegen welche sie sich Gewalt anzuwenden berechtigt halten, leiden, haben zu erwägen: Ob sie in Wahrheit alle rechtlichen Mittel ergriffen haben, um jenen Beschwerden oder Besorgnissen abzuhelfen? Ob sie selbst nicht ähnliches Unrecht wie das, worüber sie sich beklagen, in ihrem eigenen Lebenskreise begangen haben oder begehen? Und ob sie folglich nicht alle Ursache haben, ihre Obrigkeit mit dem Maße zu messen, mit welchem sie selbst gemessen zu werden wünschen.

Und wenn sie nach gewissenhafter Beantwortung dieser Fragen noch keine innere Stimme vernehmen, welche sie vor einer gewaltsamen Auflehnung gegen ihre Oberen, die auch Menschen sind, abmahnend warnt, so mögen sie erwägen: Ob es dem Christen ziemt, für das ihm widerfahrene Unrecht durch das zweideutigste und gefährlichste Mittel, welches gedacht werden kann, durch die Gewalt, eine Abhilfe zu suchen, durch welche sie jedenfalls über die Grenze des bloßen Widerstandes und der Abwehrung des Unrechts hinaus auf einen Punkt geführt werden, wo sie dem Gegner zehnfaches Unrecht erweisen?

Sie mögen endlich auch den Gesichtspunkt der Klugheit festhalten und erwägen, ob sie nicht auf dem Wege der Gewalt, und wenn sie die Dämme der Ordnung, des Gesetzes und des Gehorsams durchbrechen, die vielleicht erst in Jahrhunderten wiederhergestellt sind, nicht unfehlbar für sich, für ihre Familien, für ihre Nachkommen, ihre Landsleute, ja für ganz Europa einen Schaden herbeiführen, der über alles Verhältnis größer ist als der, den sie beseitigen wollen.

Wer aber diese Erwägung anstellt, wird, wenn er das Glück hat, in einem Lande zu leben, wo noch Ordnung und Gehorsam herrschen, und wenn er wahrhaft das Gute will und sucht, sich selbst gestehen müssen, daß es nicht der Zeitpunkt sei, selbstgerechte Beschwerden über vorhandene Mißbräuche mit Ungestüm zu verfolgen, wenn der Erbfeind aller geselligen Ordnung, die Revolution, vor den Toren steht, und er wird bekennen müssen, daß die persönliche Treue - die ja als eine deutsche Tugend gerühmt wird! - und die strenge Beobachtung der eigenen Pflicht, in jedem Falle der sicherste und ehrenvollste Ausweg sei aus dem Labyrinthe unserer Zeit.

Aber auch die Regierungen haben nicht minder die Pflicht, gerechten Beschwerden nach allen Kräften abzuhelfen, keine derselben gering zu achten, und vor allen Dingen denen nicht zu vertrauen, welche in den Ländern, wo die offenen Angriffe revolutionärer Gewalt mißlang, jetzt süß tönende Saiten widriger Schmeichelei aufziehen, um die von Gott gesetzten Träger der legitimen Gewalt einzuschläfern.

Sie mögen wachen und sich erinnern, daß auch der unglückliche König Karl X. nicht minder verherrlicht war, bi zu dem Augenblicke, wo seine Feinde ihres Sieges gewiß warn, und mögen für gewiß glauben, daß die Behauptung: "Es gäbe in diesem oder jenem Lande gar keine Mißbräuche, eine Unwahrheit ist, an welche diejenigen am wenigsten glauben, die sie aussprechen.

Und wenn sie endlich das Ihrige getan und der Revolution aller Vorwände, deren sie sich bedienen könnte, entzogen haben, so mögen sie nicht vergessen, daß damit das Wesen derselben, welches ein geistiges Übel ist, noch nicht vernichtet wurde; sie mögen dann den tiefern geistigen Ursachen jener Umwälzungen nachforschen und ihnen in Zeiten ernst entgegen treten um nicht unter ihren Wirkungen zu erliegen, wenn es zu spät ist.


Verweise

{{Frankreich Revolution}}


Einzelnachweise

  1. d. h. "Gruppierung"
  2. hier ist wohl "Emissäre" gemeint.