Ferguson, Niall
- * 18. April 1964 in Glasgow
Ferguson, Nial ist ein schottischer Historiker.
Inhaltsverzeichnis
Leben
Ferguson wurde 1964 in Glasgow als Sohn einer Lehrerin und eines Hausarztes geboren. Nach dem Geschichtsstudium an der Oxford University wurde er 1989 nach Archivarbeit als „Hanseatic Scholar“ in Deutschland mit der Arbeit Business and Politics in the German Inflation: Hamburg 1914–1924 zum Dr. Phil. promoviert.
Es folgten wissenschaftliche Anstellungen in Oxford und an der New York University, als Spezialist für Finanz-, Wirtschafts- und europäische Geschichte. Im Jahr 2004 nahm er den Ruf nach Harvard an. Er ist ebenso Senior Fellow der Hoover Institution und assoziiert mit dem von George Soros mitfinanzierten INET, dem Institute for New Economic Thinking. Im Jahr 2004 wurde er vom Time Magazine als eine der 100 einflussreichsten Personen der Welt gelistet.
Ferguson war von 1994 bis 2011 mit der Zeitungsverlegerin Sue Douglas verheiratet. Seit 2011 ist er mit der aus Somalia stammenden niederländischen Politikerin, Frauenrechtlerin und Islamkritikerin Ayaan Hirsi Ali verheiratet. Er hat vier Kinder.
Politische Positionen
Niall Ferguson unterstützte in der Vergangenheit oft die neokonservative Politik der USA. Er betonte die Notwendigkeit eines globalen Hegemons und trat für eine stärkere Kürzung der sozialen Mittel in den USA ein, da es ansonsten seiner Meinung nach zu ernsten finanzpolitischen Problemen kommen würde. Nachdem die Regierung Bush dies nicht in dem von Ferguson als notwendig erachteten Maße umgesetzt hatte, sprach er sich im Jahr 2004 gegen die Wiederwahl Bushs aus.
Wissenschaftliche Positionen
2008 veröffentlichte er das Buch „The Ascent of Money: A Financial History of the World“[1]es wurde im selben Jahr mit ihm für den britischen Channel 4 als sechsteilige Fernsehreihe mit zu Boom and Bust abgewandelten Untertitel produziert. Ferguson hob unter anderem hervor, daß das Wirtschaftswachstum Chiles nach der Intervention der Chicago Boys tatsächlich höhere Wachstumsraten aufwies. Lobende Kritiken erhielt Ferguson unter anderem von Raghuram Rajan, dem ehemaligen Chefvolkswirt des IWF, der Ferguson bescheinigte, auf die Gefahren der Kreditexpansion vor Ausbruch der Finanzkrise hingewiesen zu haben.
In seiner Kolumne in der Financial Times lieferte sich der Ferguson nach dem 30. April 2009 eine öffentliche Fehde mit Ökonomie-Nobelpreisträger Paul Krugman. Ausgangspunkt war eine Kontroverse über die Wege aus der US-Haushaltskrise. Ferguson, der nun in den USA lebt, hat mehrmals für die Republikaner und gegen Präsident Obama Partei ergriffen, während Krugman als linksextrem gilt.
In Hinblick auf das bekannte John Maynard Keynes-Zitat „Auf lange Sicht sind wir alle tot. Die Volkswirtschaft macht es sich zu leicht und macht ihre Aufgabe zu wertlos, wenn sie in stürmischen Zeiten uns nur sagen kann, daß, nachdem der Sturm lang vorüber ist, der Ozean wieder ruhig sein wird.“ meinte Ferguson, daß sich Keynes nicht für die Zukunft interessiert habe, da er homosexuell gewesen sei und keine Kinder gehabt habe. Im Blog seiner Website bezeichnete Ferguson seine Äußerung später selbstkritisch als doppelt dumm: „Erstens ist es offensichtlich, daß auch Leute, die keine Kinder haben, sich um künftige Generationen kümmern“ und zweitens habe er vergessen, daß Keynes und seine Frau Lydia ungewollt kinderlos geblieben waren.
Der Westen und der Rest der Welt
2011 erschien Fergusons viel beachtetes Werk „Civilization. The West and the Rest“ zuerst in London, und im gleichen Jahr auch in deutscher Sprache: Der Westen und der Rest der Welt. Die Geschichte vom Wettstreit der Kulturen. Zu Beginn legt er einige Grundsätze seines Geschichtsverständnisses dar: Für ihn sei die Vergangenheit nicht einfach abgeschlossen, sondern sie lebe in der Gegenwart weiter in Form von Spuren wie Gegenständen und Dokumenten. Es gehe nicht darum, Beweisstücke zu sammeln, sondern eine Geschichte des Denkens zu erkennen und nachzuvollziehen. Historisches Wissen ließe vergangenes Denken erahnen und mache es sichtbar im Kontext der Gegenwart. Er verstehe sich wie ein Wildhüter, der erfolgreich Spuren suche und finde. Geschichte könne helfen, die Gegenwart zu klären und heutige Situation besser beurteilen zu können. Darin folge er dem britischen Historiker Robin George Collingwood.
Ab Seite 44 folgen Ausführungen, weshalb der Westen seit 1500 nach Christus eine solch globale Macht geworden sei. Ferguson skizziert sechs entscheidende Faktoren, die er sogenannte „Killerapplikationen“ nennt, die alle zum phänomenalen Aufstieg notwendig gewesen seien und zu Wohlstand und westlicher Vorherrschaft seit etwa 500 Jahren geführt haben sollen:
- Wettbewerb: wurde gefördert durch Dezentralisierung, Gründung von Nationalstaaten und Kapitalismus. (Die hochentwickelte chinesische Ming-Dynastie (1368–1644) verlor durch zunehmenden Selbstbezug an Bedeutung. Die Briten dagegen erzwangen 1842 die Öffnung Chinas für ihre Märkte)
- Wissenschaft: Das Studieren, Verstehen und Verändern der Welt sicherte auch einen großen militärischen Vorsprung. Von 1530 bis 1790 wurden in Europa 29 bahnbrechende Entdeckungen und Erfindungen gemacht. Dagegen verbot der osmanische Sultan Selim I. (1470–1520) die Druckerpresse und schnitt sich so von der wissenschaftlichen Revolution und dem Fortschritt ab, was sich später negativ auswirken sollte
- Eigentumsrechte: Rechtsstaatlichkeit schützte Privateigentum und Freiheit, führte zu Frieden und Stabilität und brachte repräsentative Regierungen hervor. Kurz nach der europäischen Besiedlung Nordamerikas hatten 75 bis 87 % der neu ansässigen Personen bereits Landeigentum. In Südamerika dagegen besaß nur eine Elite von 2 Prozent den meisten Boden samt seinen Schätzen, was keine sinnvollen Eigentumsrechte und keine Rechtsstaatlichkeit gedeihen ließen
- Moderne Medizin: verbesserte die Gesundheit, verdoppelte die Lebenserwartung und steigerte Wachstum der Bevölkerung. Dänemark war das erste Land der Welt, das 1770 die Verdoppelung der Lebenserwartung erreichte, in Asien geschah dies von 1890 bis 1950 und in Afrika von 1920 bis 1950. Krankheiten wie Cholera und Typhus waren schon 1914 fast ausgerottet
- Konsumgesellschaft: Gebrauchsgüter wie Kleider spielten eine wesentliche Rolle in der industriellen Revolution. Sie begann 1830 in Großbritannien und erhöhte Wirtschaftsleistung und Reichtum deutlich. Innovative und unternehmerische Personen wie Richard Arkwright, James Watt, Isaac Merritt Singer, Levi Strauss und Jacob Davis trieben diesen kumulativen, evolutionären Verbesserungsprozess voran. Die Alliierten siegten im Zweiten Weltkrieg (1939–1945) vor allem wegen britischem Geheimdienst, sowjetischem Massenheer und amerikanischem Kapital. Danach breitete sich die Konsumgesellschaft in den USA und in Europa aus. Régis Debray sagte dazu: „Rockmusik, Videos, Blue Jeans, Fastfood und TV haben mehr Macht als die Rote Armee.“ Auch Asien erlebte einen kometenhaften Aufstieg, am schnellsten wuchs Südkorea 1973 bis 1990
- Arbeitsethik: Der Protestantismus bewirkte eine moralische Arbeitsweise, die zu höherer Leistung, besserem Zusammenhalt und größerer Sparquote führte. Max Weber hat in seinem Werk Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus als einer der ersten beschrieben, daß Protestanten eine rastlose Berufsarbeit kennen, um sich der Erwählung Gottes zu vergewissern. Folge davon war, daß 1940 die protestantischen Länder durchschnittlich 40 Prozent mehr Einkommen als die katholischen Staaten hatten. Druckereien begannen dank Bibeldruck zu florieren, und die evangelische Bevölkerung wurde fürs Bibellesen durch Geistliche alphabetisiert. Ferguson bezeichnet dies als protestantische Wortethik, die zudem gegenseitiges Vertrauen, Treue, Sparsamkeit, Ehrlichkeit, Offenheit und Kreditnetzwerke gefördert hatte. Der Westen mit seinem Relativismus, Konsumismus und seiner Überschuldung werde aber bald vom aufstrebenden China überholt werden, weil dort Werte wie Moralität, Recht und Eigentum einen hohen Stellenwert besäßen.
Am Schluß bezeichnet Ferguson Zivilisationen und Kulturen als komplexere und interagierende Systeme zwischen Ordnung und Chaos. Er vergleicht sie mit fraktaler Geometrie, überoptimierten Elektrizitätsnetzen und Termiten. Bei Fehlfunktionen seien Katastrophen wie Finanzkrisen und Kriege die Folge. Beispiele für ein schnelles Ende sind folgende Reiche:
- das Römische Reich, das um 400 nach Christus durch die Hunnen verwüstet wurde
- das Inkareich, das 1535 durch Spanier erobert wurde
- die Ming-Dynastie in China, die 1520–1650 einen Niedergang durchmachte
- das Französische Königreich, das durch die Französische Revolution 1789 gestürzt wurde
- das Osmanische Reich, das 1875–1922 seinen Niedergang erlebte
- das Japanische Reich, das 1945 zerschlagen wurde
- das Britische Empire, das 1956 an Überdehnung durch viele Kolonien endete
- die Sowjetunion, die 1989 als kommunistische Diktatur implodierte und 1990/91 zerfiel.
Ferguson kann Samuel Huntington und seinem Kampf der Kulturen nur teilweise zustimmen, weil er ethnische Konflikte stärker gewichte als religiöse Kriege. Zunehmende lokale Auseinandersetzungen bewirken eher einen Zusammenbruch der Kulturen. Als neuen Aufsteiger bezeichnet er China, das die westlichen „Killerapplikationen“ am besten verstanden, adaptiert und angewandt habe durch Konsum, Importe und Auslandsinvestitionen.
Auszeichnungen
- 2013: Ludwig-Erhard-Preis für Wirtschaftspublizistik
Werke
- Paper and Iron. Hamburg Business and German Politics in the Era of Inflation, 1897–1927, Cambridge University Press, Cambridge 1995
- The House of Rothschild. Money’s Prophets, 1798–1848, Viking Books, 1998
- The World’s Banker: The History of the House of Rothschild, Weidenfeld & Nicolson, 1998
- The Pity of War: Explaining World War I. 1998
- dt.: Der falsche Krieg, Dt. Verlagsanstalt, Stuttgart 1998
- The House of Rothschild: The World’s Banker, 1849–1999, Viking Books, 1999
- Virtual History. Alternatives and Counterfactuals, Basic Books, 1999
- The Cash Nexus. Money and Power in the Modern World, 1700–2000, London: Allen Lane/Penguin Press, 2001
- Empire. The Rise and Demise of the British World Order, 2003
- Colossus. The Rise and Fall of the American Empire, Allen Lane, 2004
- 1914. Why the World Went to War, Penguin, 2005
- War of the World. History’s Age of Hatred, 1914–1989, Allen Lane, 2006
- The Ascent of Money. A Financial History of the World, Penguin, New York 2008
- dt.: Der Aufstieg des Geldes. Die Währung der Geschichte, Econ, Berlin 2009
- Civilization: The West and the Rest, London 2011
- dt.: Der Westen und der Rest der Welt – Die Geschichte vom Wettstreit der Kulturen. Berlin 2011
- The great degeneration. How institutions decay and economies die. Allen Lane, London 2012
- dt.: Der Niedergang des Westens. Wie Institutionen verfallen und Ökonomien sterben. Berlin 2013
Verweise
Einzelnachweise
- ↑ dt: „Der Aufstieg des Geldes: eine Finanzgeschichte der Welt“,